Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Bei diesem Satz denkt man unmittelbar an eine Reise in andere Länder, andere Kontinente oder hat wenigstens vor Augen, dass die heimatliche Umgebung verlassen wird. Glaubte ich auch, bis zu jenem Samstag im Oktober, als ich mit Freunden beschloss, unsere leuchtende Heimatstadt Berlin zum Festival oft Lights zu bewundern. Mutig erklärte ich meinen Begleitern, dass man an diesem Abend doch die öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt nutzen sollte. Mein Vorschlag stieß bei den eingefleischten Autofahrern nicht auf sonderliche Begeisterung, aber immerhin gelang es mir, sie mit gutem Zureden davon zu überzeugen, nicht auch zu dem Personenkreis zu gehören, der durch die Nutzung des eigenen Pkws die Innenstadt verstopft.
Bei mehr oder weniger milden Temperaturen, bestens gelaunt und in freudiger Erwartung auf die leuchtende Stadt, versuchten wir nun vom Savignyplatz aus zum Alexanderplatz zu gelangen. Eine Strecke mit der S-Bahn, die unter normalen Umständen fünfzehn Minuten ausmacht. Unser Vorhaben scheiterte zunächst am Schienenersatzverkehr zwischen dem S-Bahnhof Charlottenburg und dem S-Bahnhof Friedrichstraße. Am Bahnsteig wies ein Schild mit einem Pfeil (der einen nicht wirklich Aufschluss darüber gab, wohin man sich nun genau zu bewegen hatte) darauf hin, wo man die Haltestelle des Schienenversatzverkehrs finden würde. Gott sei Dank waren wir hier nicht völlig ortsunkundig, so dass wir mit dem Hinweis, die Haltestelle des Schienenersatzverkehrs befinde sich dort, wo sich die Haltestelle des M45 befand, etwas anfangen konnten. Immer noch motiviert und gut gelaunt erreichten wir die Ersatzhaltestelle und stießen dort auf eine Menschentraube, die uns die Überlegung anstellen ließ, ob man überhaupt mit dem nächsten Bus mitkommen würde.
Die Nähe des Bahnhofs Zoo verleitete uns dazu, davon auszugehen, dass man die dort verkehrenden Busse der Linien 200 und 100, die die City West mit der City Ost verbinden, doch sicher im Hinblick auf das Event und dem Umstand, dass ein Schienenersatzverkehr auch für den Bahnhof Zoo galt, in kürzeren Abständen einsetzte und man durch die Möglichkeit, beide Busse nutzen zu können, schneller an sein Ziel gelangen würde. Diese Überlegung kann man gut und gerne als fatale Fehleinschätzung unsererseits bezeichnen. Wir erreichten den Bahnhof Zoo nach einem Fußweg von ungefähr zehn Minuten, um dann dort festzustellen, dass der Umfang der dortigen Menschentraube die vom Savignyplatz locker in den Schatten stellte. Die elektronische Anzeigetafel zu den jeweiligen Buslinien wies darauf hin, dass aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens in der Innenstadt der Busverkehr auf diesen Linien unregelmäßig sei.
Leicht frustriert, aber dennoch immer gut gelaunt, entschieden wir uns nun, es doch mit dem Schienenersatzverkehr zu versuchen. Leichter gesagt, als getan. Wir liefen die Haltestellen am Bahnhof Zoo ab und entdeckten dort auch eine Haltestelle des Schienenersatzverkehrs, mussten jedoch bei näheren Begutachtung des Fahrplanes (man hatte hier darauf verzichtet, klar von weitem sichtbar zu kennzeichnen, um welchen Schienenersatzverkehrs es sich handelte und in welche Richtung dieser von dort aus bedient wurde) feststellen, dass es offensichtlich mehrere Strecken in der Stadt gab, die von einem Schienenersatzverkehr betroffen waren.
Nachdem wir ergebnislos zwischen den Haltestellen nach unserer Abfahrtstelle für den Schienenersatzverkehr Richtung Friedrichstraße suchten und auch keine sonstigen Schilder uns den Weg wiesen, liefen wir in unserer langsam aufkommenden Verzweiflung (zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits fünfundvierzig Minuten nur damit beschäftigt loszufahren) zum Bahnsteig Bahnhof Zoo und fanden dort tatsächlich einen Hinweis (allerdings ähnlich wie am S-Bahnhof Savignyplatz war auch hier die Auskunft sehr vage, und auch in diesem Fall nur halbwegs Ortskundigen eine Hilfe).
Wir postierten uns dann –zwar leicht frustriert, die ersten schlugen auch bereits vor, das Vorhaben abzubrechen, und es sich statt dessen in einer Bar mit einem Drink bequem zu machen – an der Ersatzhaltestelle und schafften es auch, uns mit den anderen Fahrgästen in den völlig überfüllten Bus zu quetschen. Einer von uns hielt tapfer die erworbene Fahrkarte in der Hand und suchte nun im Bus nach der Möglichkeit, diese zu entwerten. Vergeblich. Auf Nachfrage beim nicht unfreundlichen, aber auch nicht sonderlich freundlichen (halt irgendetwas dazwischen) Busfahrer erhielt man die Auskunft:“Gibt’s nicht. Stecken Sie das Ding weg.“ Und schon ging es los- endlich - Richtung Friedrichstraße. Die Fahrt an sich verlief zügig und kaum, dass der Bus an der Endstation des Schienenerzsatzverkehrs an der Friedrichstaße stoppte, wurde bereits die Innenbeleuchtung ausgeschaltet, so dass wir alle versuchten, beim Verlassen des dunklen Innenraumes im Bus möglichst nicht zu verunfallen. Von dort legten wir den Rest des Weges zum Alexanderplatz zu Fuß zurück.
Mit einer Verspätung von 1 ½ Stunden starteten wir dann mit dem Festival of Lights, zwar in einer verkürzten Fassung, da uns bereits kostbare Zeit verloren gegangen war, aber immer noch bestens gelaunt, weil solche Kleinigkeiten wie, man benötigt statt fünfzehn Minuten über eine Stunde, um an das begehrte Ziel zu gelangen, uns nicht wirklich nachhaltig verstimmen konnten.
Aber wie sollte es anders sein: Auf den öffentlichen Nahverkehr war natürlich Verlass, die Gunst der Stunde zu nutzen und den eingefleischten Autofahrern dieser Stadt klar vor Augen zu führen, warum sie nie auf Ihr Auto verzichten würden.
Vom Potsdamer Platz starteten wir zwei Stunden später unseren Rückweg. Hier standen uns insgesamt drei Busse für die Rückfahrt zur Verfügung. Also theoretisch. In der Praxis natürlich nicht. Zunächst gab die elektronische Anzeigetafel wieder darüber Auskunft, dass der Busverkehr im Hinblick auf das hohe Verkehrsaufkommen unregelmäßig sei, wobei diese Auskunft sehr wohlwollend formuliert war. Zwanzig Minuten tauchte kein Bus auf. Lediglich die Anzeigentafel blinkte von Zeit zu Zeit fröhlich vor sich hin und kündigte an, dass jetzt einer der begehrten Busse eintreffen würde, um dann vom Aufblinken wieder auf: Der nächste Bus kommt in zehn Minuten umzuschalten, ohne, dass wir einen Bus zu Gesicht bekamen.
Als dann endlich der erste Bus auftauchte, war dieser derartig überfüllt, dass er keine Fahrgäste an der Station mehr aufnahm. Der nächste nahm Fahrgäste auf, aber nicht uns. Vor unserer Nase wurde die Tür wegen Überfüllung geschlossen. Beim dritten Bus, der zwar einen Umweg für uns bedeutete, hatten wir Glück und schafften es, uns in den völlig überfüllten Bus zu quetschen. Es war schon ein tolles Gefühl, dass man nun zu den Privilegierten gehörte, die einen Stehplatz im völlig überfüllten Bus ergattern konnten, während man an den vielen Haltestellen vorbeifuhr, an denen andere Fahrgäste sehnsüchtig den nicht haltenden völlig überfüllten Bus hinterher schauten und nun auf einen anderen hoffen mussten.
An der nächsten Umsteigemöglichkeit verließen wir den Bus und konnten unsere Freude kaum verbergen, als die Anzeigetafel dort das Eintreffen unseres Busses ankündigte, der nun unsere Fahrt Nachhause fortsetzen sollte. Ja, ich sehe schon, wie ihr jetzt alle ein sehr müdes Lächeln für uns übrig habt und Euch denkt, bei alle dem, was sie an diesem Abend erlebten, waren die wirklich so naiv und glaubten, dass auch ein Bus käme, wenn es blinkt? Ja, ich stehe dazu, waren wir. Immerhin hatten wir den Innenstadtbereich verlassen und man durfte doch nun davon ausgehen, dass nicht sämtliche Busse in Berlin an diesem Abend ihren Fahrplan nicht einhielten. Es kam natürlich kein Bus, als es blinkte und wir standen in einer nicht gerade schönen und eher unsicheren Gegend unserer Stadt eine halbe Stunde auf der Straße und warteten. Allerdings wurden wir mit Polizeieinsätzen inklusiver intensiven Fahrzeugkontrollen (deren Insassen schossen dann noch Selfies von sich und dem Polizeieinsatz im Hintergrund) bestens unterhalten.
Als dann der Bus endlich kam, schaffte er es nicht, an unserer weiteren Anschlusshaltestelle rechtzeitig einzutreffen, damit wir den letzten Bus erreichen konnten. Aber wir wollten immer noch nicht die Stimmung kippen lassen, obwohl wir zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Stunden damit beschäftigt waren, Nachhause zu gelangen und steuerten auf den nahe gelegenen Taxistand zu, um, ist schon klar oder? Ja, richtig: Festzustellen, dass dort keine einzige Taxe stand. Zwei der dann eintreffenden Taxen wurden uns direkt vor der Nase weggeschnappt, obwohl kaum Passanten auf der Straße waren (aber die, die unterwegs waren wollten halt Taxe fahren). Nach einer gefühlten Ewigkeit, ich habe mich im Geiste bereits Nachhause laufen sehen, kam eine weitere Taxe, die wir uns nicht wegschnappen ließen…
Nun sagt mal nicht, man hat nichts zu erzählen, wenn man sich entscheidet, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Meine Begleiter an diesem Abend sind sich jedoch einig, dass sie auf diese
Art Reisen verzichten können und lieber wenn, richtig verreisen (in 2 ½ Stunden schafft man es ja zum Beispiel immerhin nach Spanien oder Italien–allerdings mit dem Flugzeug). Ich muss an dieser
Stelle auch nicht erwähnen, dass sie freiwillig nicht mehr auf ihr Auto verzichten werden und die öffentlichen Verkehrsmittel stattdessen meiden.
Also denkt immer an die Geschichte, wenn ihr alle mal wieder im Stau steht, weil gefühlt, die ganze Stadt im Auto unterwegs ist…denn genau so ist es.
Claudia Lekondra