Ein schöner Rücken kann auch entzücken

Ein schöner Rücken kann auch entzücken dachte ich mir, als ich durch Zufall dieses schöne Kleid in einer Boutique entdeckte, während ich eigentlich in einem anderen Auftrag unterwegs war. Da ich nicht zu dem Kreis der Shopping Queens (Kings) & Co gehöre und meine Garderobe sich überwiegend durch Zufallsbegegnungen zusammenstellt, griff ich die Gelegenheit beim Schopfe und schlüpfte spontan in das Objekt meiner Begierde. Und dann war es eben dieser tolle Rückenausschnitt, der mich dazu bewog, dieses Kleid unbedingt haben zu wollen. Es passte wie angegossen. Ich war mir sicher, dass ich mit diesem Kleid in meiner Tasche die Boutique wieder verlassen würde. Aber dann stand ich doch etwas ratlos vor dem Spiegel. Der Rückenausschnitt war -wie bereits erwähnt – tief, so dass der Verschluss meines BHs ungewollt in den Blickmittelpunkt gestellt wurde.

Sah nun nicht so wirklich gut aus und war sicher nicht im Sinne des Designers. Also probierte ich das Kleid ohne BH an. Ging auch nicht. Es zeichnete sich alles ab. Näher möchte ich an dieser Stelle nicht darauf eingehen. Zu diesem Zeitpunkt war ich jedoch längst auf verlorenem Posten. War ich doch wild entschlossen, dieses Kleid zu kaufen. Für das Problem mit dem Verschluss gab es doch sicher eine Lösung. Schließlich war ich ja nicht die erste weibliche Person, die ein tief ausgeschnittenes rückenfreies Kleid tragen und hierbei nicht auf einen BH verzichten wollte. Was ich benötigte, war ein Tipp von erprobten Rückenfreitragenden. Also befragte ich als erstes die junge Dame an der Kasse der Boutique, wie sie denn in ähnlichen Fällen das Problem löste. Zu meiner Verwunderung war sie ebenso ratlos. Nie zuvor hatte sie vor einem solchen Problem gestanden und auch der Umstand, dass sie in einer Damenboutique arbeitete, schien sie noch nie dazu veranlasst zu haben, sich Gedanken darüber zu machen, um gegebenenfalls eine Kundin entsprechend beraten zu können. Immerhin zögerte sie keinen weiteren Moment und rief ihre Kollegin, die in den Tiefen des Lagers verschwunden war, zu Hilfe. Wenn es sich um einen schönen Verschluss handle, könne man das Kleid doch durchaus so tragen. Der BH hätte eben auf der tiefausgeschnittenen Rückenfront seinen Auftritt, schlug sie mir vor. Als sie meinen skeptischen Blick bemerkte, kam ihr die Idee, es mit einem selbstklebenden BH zu versuchen, aber damit habe sie keine Erfahrung. Ich solle mich hierzu mal in einem Dessous-Laden beraten lassen. Das klang doch nach einem Plan.

Mit dem tollen Kleid in der Tasche zog ich los und erklärte meiner männlichen Begleitung, ich müsse mal kurz in dem nächsten Dessous-Laden einen Zwischenstopp einlegen. Gesagt getan. Es gibt schließlich Schlimmeres für die Herrenwelt, als einen Dessous-Laden zu betreten. Doch man kam erst gar nicht dazu, sich intensiver umzuschauen. Man konnte mir dort nicht helfen. Man führte keine selbstklebenden BHs. Die freundliche Verkäuferin gab mir jedoch den Tipp, es zwei Läden weiter, in dem Laden XY, zu versuchen. Zwar noch motiviert, da das neu erworbene Kleid in der Tasche anspornte, aber doch schon leicht genervt und unter Zeitdruck, trug ich mein Anliegen zwei Ladentüren weiter vor. Und damit nahm alles seinen Lauf.

Ich, beziehungsweise wir, wurden in der nächsten Stunde in die Tiefen der Unterwäschekunst und -tricks eingeweiht. Die Idee, man gehe mal kurz in einen Laden und kaufe sich einen selbstklebenden BH, wie naiv. Zunächst wurde mir demonstriert, wie man so einen selbstklebenden BH anzulegen habe. Schon befremdlich, wenn mit diesen beiden Teilen, die doch eigentlich immer in Verbindung stehen, so einzeln vor der Nase herumhantiert wird. Aufmerksam verfolgte ich die Handbewegungen (übrigens mitten im Geschäftsbetrieb, nicht in einem Séparée) und lauschte konzentriert den Anweisungen. Nicht vorher eincremen, fest andrücken, fast schon pressen und möglichst nicht schwitzen, denn sonst könnten die beiden „Schalen“ verrutschen. Die aufmerksame Verkäuferin entnahm meinem Gesichtsausdruck, dass mir bei dem Gedanken, ich bin mit diesem schönen Kleid und dem tollen Rückenausschnitt unterwegs und eine der Schalen verselbständigt sich, etwas sehr unwohl zumute wurde. Anstatt mich zu beruhigen, erzählte sie mir fröhlich, dass ihr das auch schon passiert sei, weil, klar, schwitzen könne man unter bestimmten Umständen einfach nicht vermeiden. Sie habe dann halt die Arme eng angelegt und die nächste Toilette aufgesucht, um die Haut abzutrocknen und alles wieder zu richten. Zaghaft fragte ich dann, ob es nicht eine Alternative gäbe. Klar, kam die prompte Antwort. Auf das Tragen eines BHs verzichten. Auf meinen Einwand, dass sich alles markiere, schlug sie mir vor, alles abzukleben. Meine Mimik drückte ganz sicher in diesem Moment noch mehr Missfallen aus und ich bereute schon insgeheim, dieses Kleid erworben zu haben und spielte mit dem Gedanken, es zurückzugeben. Der Gedanke, mich zu „verkleben“, um ein rückenfrei geschnittenes Kleid zu tragen, empfand ich doch mehr als befremdlich.

Während ich mich vorübergehend überfordert fühlte, übernahm es meine männliche Begleitung, das Problem zu lösen. Erschien es mir fast so, als entwickelte sich dieses Thema innerhalb der letzten Minuten zu einer sportlichen Herausforderung für ihn, mich irgendwie mit einem BH bekleidet, ohne dass man den Verschluss sieht, in dieses Kleid zu stecken. Nicht wenig erstaunt folgte ich dann dem Dialog zwischen meiner Begleitung und der hoch motivierten Verkäuferin, der dann noch als weitere Alternative einfiel, mit Hilfe eines Bandes, das man hinten am BH befestigte, diesen soweit herunterzog, dass der Verschluss sich nicht mehr im rückwärtigen Blickfeld des Ausschnittes befand. Die Enden des Bandes würde man dann vorne binden. An dieser Stelle lass ich jetzt einfach mal die Beschreibung meines Gesichtsausdrucks weg. Meine Begleitung war nicht mehr zu bremsen und ich vernahm, wie die Verkäuferin bedauerte, dass solche Bänder bei ihr nicht zu erwerben seien. Wir sollten in einen Dessous-Laden gehen. Kaum ausgesprochen verabschiedete man sich von der netten Verkäuferin und suchte den Dessous-Laden wieder auf. Dort trug ich mein Anliegen vor und was dann folgte, war ein absoluter Nachhilfeunterricht. Gott sei Dank war ich in die Hände einer nicht nur hoch motivierten, sondern ebenso fachlich kompetenten Person geraten, die mir die Idee mit den Bändern sofort ausredete, weil es natürlich auch die Vorderseite herunterzog (und wer will schon einen Hängebusen?) und es sich bei der Variante nicht wirklich um einen Tragekomfort handelte, wenn man irgendwo vorne etwas festbindet. Sie stellte mir ein paar Fragen zu Größe, Umfang, halt so das Übliche, schob mich in eine Umkleidekabine, forderte mich auf, das neu erworbene Kleid anzuziehen und den Rest sollte ich ihr mal überlassen. Ich fühlte mich auf einmal so geborgen und gut aufgehoben, dass ich mir ganz sicher war, diese Frau hatte die Lösung für mich und mein tolles Kleid.

Auch meine männliche Begleitung, die längst mit Spannung diese BH-Exkursion verfolgte und keine Anstalten mehr machte, schnell irgendwo hin zu müssen, wurde dann endgültig von dieser Perle von Verkäuferin ruhig gestellt, indem sie ihm ein Glas Sekt in die Hand drückte und ihm eine gemütliche Sitzposition präsentierte, von der aus er entspannt alles verfolgen konnte, was sich um meine Person oder besser ausgedrückt, um meinen Rücken herum, abspielte. Bei dieser Gelegenheit wurde ich zu den Themen Unterwäsche auf Ideen gebracht, die ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen möchte. Immerhin lesen auch Männer meinen Blog und schließlich möchte ich hier nicht Geheimnisse der Frauenwelt offenlegen. Dabei wurde mir klar, dass die Frauen, obwohl es ihnen immer unterstellt wird, sich nicht wirklich ständig über alles miteinander austauschen. Wäre dem so gewesen, wäre ich sicher nicht so unglaublich unwissend in mein rückenfreies Abenteuer gestolpert.

Jetzt wollt ihr sicher wissen, wie ich das rückenfreie Problem gelöst habe. Ganz simpel. Mit einem entsprechenden speziellen BH, dessen Verschluss am hinteren Ende etwas weiter unten angesetzt ist und somit unter dem Ausschnitt verschwindet. Glücklich und leicht beschwipst, denn auch mir wurde zur Belohnung zwischen dem ständigen An- und Ausziehen Sekt gereicht, verließen wir den Laden, unterwäschetechnisch ausgerüstet für alle kniffligen Eventualitäten, die einem im Kleiderschrank noch so begegnen könnten. Ich fühlte mich tiefenentspannt und es macht mir überhaupt nichts mehr aus, dass dieser eigentliche Zwischenstopp sich mehr ausgedehnt hatte als geplant. Hatte ich -nein hatten wir- doch das Gefühl, an diesem Nachmittag wirklich mal wieder etwas dazu gelernt zu haben. Und das Kleid, na klar, das hatte längst seinen gebührenden Auftritt.

 

Ich sage nur. Ein schöner Rücken kann auch entzücken.                

 P.S.: Und übrigens: Nein, auf dem Foto ist nicht das Kleid aus meiner Geschichte zu sehen.

 

Claudia Lekondra