Es gibt Bücher, die hinterlassen Spuren, die machen etwas mit einem. Bei mir hinterließ der Roman „Die Glut“ von Sándor Márai (1900-1989) vor gut zwanzig Jahre seine Spuren. Mich beeindruckte die unglaubliche Intensität der Erzählung. Als eine Art Kammerspiel erzählt Sándor Márai in Form eines Monologes von zwei ungleichen Freunden, dem reichen General Henrik und dem aus verarmtem polnischem Adel stammenden Konrad. Nach über vier Jahrzehnten treffen die beiden an einem Abend in Henriks altem Schloss wieder zusammen. Konrad verschwand seinerzeit über Nacht aus Henriks Leben und Henrik erhofft sich, an jenem Abend nun endlich zu erfahren warum. Der Abend und die Nacht werden immer mehr zu einem inneren Monolog Henriks, indem er sich unter anderem mit den Begriffen Freundschaft, Treue, Ehre und Demut auseinandersetzt. „Das Wort Freundschaft, so oft ausgesprochen, so selten gehalten. Oder interpretieren wir etwas Falsches hinein?“ Ich war damals von der Art und Weise, wie sich Sándor Márai mit dem Begriff und der Bedeutung der Freundschaft in dieser Geschichte auseinandersetzt berührt und erkannte, dass ich es genauso sah. Obwohl ich seinerzeit sehr beeindruckt von diesem Buch war und ich mir fest vornahm, es noch einmal zu lesen, sind nunmehr fast zwanzig Jahre verstrichen. Ich war etwas zögerlich, weil ich befürchtete, dass ich mir den Eindruck, den das Buch seinerzeit hinterlassen hatte, im Nachhinein verderben würde, dass es eben die Spuren wieder verwischt. Aber dem war so nicht. Die Erzählweise, Hendriks Überlegungen und die wunderschöne klare Sprache haben mich gleich wieder in den Bann gezogen.
„Kameradschaft und Kumpanei sehen bisweilen nach Freundschaft aus. Gemeinsame Interessen können zwischenmenschliche Interessen schaffen, die der Freundschaft gleichen...“
Was für eine schöne Beschreibung! Wenn man eine engere Bekanntschaft oder Kameradschaft ganz klar von einer Freundschaft zu unterscheiden lernt, bleiben einem Enttäuschungen erspart. Engere Bekanntschaften und Kameradschaften gehören zu unserem Leben und bereichern es ebenso wie Freundschaften. Ohne diese zwischenmenschlichen Beziehungen wäre unser Leben leer. Man entwickelt eher eine engere Bekanntschaft und Kameradschaft, als eine echte Freundschaft. Auf dem ersten Blick gleichen sich die Beziehungen. Man begegnet sich, findet sich sympathisch und man stellt fest, dass man – jedenfalls oberflächig betrachtet - ähnliche Wertvorstellungen hat. Gemeinsame Interessen, wie ein Hobby oder die Arbeit, schaffen eine Verbindung, woraus sich eine engere Bekanntschaft entwickeln lässt. Eine wahre Freundschaft ist hiervon frei. Eine Freundschaft wächst ganz langsam. Die Werte, die man teilt, liegen meist nicht an der gesellschaftlichen Oberfläche, sondern gehen tiefer. Alter und Herkunft sind bei einer wahren Freundschaft nicht ausschlaggebend. Uneingeschränktes Vertrauen, Loyalität und gegenseitige Wertschätzung, die frei von jeglicher materiellen Art ist, sind die Grundsteine einer wahren Freundschaft. Mitunter ist Freundschaft von einer Art Seelenverwandtschaft geprägt. Ein wahrer Freund versteht, warum man ist, wie man ist, warum man so handelt, wie man handelt, wobei er nicht mit alledem übereinstimmen muss. Wahre Freundschaft übersteht unterschiedliche Entwicklungen. Sie übersteht es, wenn sich die Lebensmodelle in verschiedene Richtungen verändern, weil da immer noch so viel bleibt, was einen verbindet. Eine Freundschaft ist mehr von Achtung, als von Bewunderung geprägt, einem Freund vertraut man seinen Schmerz an, sein Glück teilt man mit jedem. Diese Überlegungen waren mir alle wieder gegenwärtig, während ich Sándor Márais „Die Glut“ ein zweites Mal las. Einige engere Bekannte von damals gehören immer noch zu meinem Leben, andere sind gegangen und wieder andere sind dazu gekommen und ein Freund, der bleibt sowieso.
Claudia Lekondra