Ost und West, das ist doch nur eine Himmelsrichtung -Teil IV Grenzenlos

Nun ist der 9. November 2019 bereits Geschichte. 30 Jahre sind vergangen, seit jenem Tag, an dem die Mauer durchlässig wurde. Anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahrestag befand ich mich am Potsdamer Platz. Und während ich dort das bunte Treiben beobachtete, versuchte ich mich daran zu erinnern, wie es dort vor 30 Jahren ausgesehen hatte. Mit der Teilung des Landes und dem Mauerbau fristete der Potsdamer Platz für Jahrzehnte ein trauriges Dasein. Ein Brachland, auf beiden Seiten Berlins. Der Potsdamer Platz ist somit ein Ort der Gemeinsamkeit während der Zeit der Teilung zwischen Ost und West. Heute erinnert nichts mehr an jene trostlose Zeit. Mit dem Fall der Mauer kehrte das Leben an diesen Platz zurück. Zunächst verwandelte sich das einzige Brachland in mitten der Stadt zur größten innerstädtischen Baustelle Europas und beeindruckt verfolgte ich über Jahre, was dort gebaut und gebuddelt wurde.

Irgendwann war dann endlich Schluss mit dem Buddeln und Bauen und der Platz war fertig. Ein Stück Berlin war entstanden, das in den Jahren der Teilung weder im Ost- noch im Westteil existiert hatte. Ein Stück Berlin, dass für alle Berliner neu war. Anfänglich tat ich mich schwer mit diesem Platz, seiner Anordnung und den Gebäuden. Zwischenzeitlich ist er mir vertraut und er gehört für mich zu dieser Stadt. Der Potsdamer Platz ist für mich ein Symbol des Zusammenwachsens der Stadt. Die Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert und wir haben uns mit ihr verändert. Mich irritieren immer wieder die Aussagen jener Leute, die alles in Ost und West, hier und drüben teilen. Die gern und möglichst oft versuchen, alle Klischees und Vorurteile in diesem Zusammenhang zu bedienen. Die Worte wie Ostalgie erfinden, wobei es doch längst ein Wort dafür gibt: Nostalgie. Es ist nichts weiter als die Sehnsucht nach etwas, was einem vertraut ist. Wir alle schwelgen ab und an nostalgisch in unseren Kindheits- und Jugenderinnerungen…damals war es. Wir alle nehmen etwas aus dem Damals mit. So selbstverständlich auch jene unter uns, die im ehemaligen Ostteil des Landes bis zum Mauerfall lebten. Es gab ein Leben davor, mit allen Höhen und Tiefen, Freuden, Erfolgen und Misserfolgen, das alles löst sich doch nicht auf, nur weil die DDR nicht mehr existiert. Auch sind die Menschen, die in der ehemaligen DDR ihren Beitrag in der Arbeitswelt geleistet hatten, nicht weniger Wert. Deren Empfinden, ihre Leistung wurde nicht gewürdigt, kann und sollte nur den Irrungen und Wirrungen der Wendezeiten geschuldet sein und heute keinen Bestand mehr haben.

Kritik an Systemen zu üben ist einfach. In der Revolution will man etwas wegfegen. Man weiß nur, was man nicht haben will, aber nicht, was dafür entstehen soll. So war es wohl auch in der Revolution in der DDR. Die Mehrheit der Bürger in der DDR waren sich darin einig, die alte Elite der DDR nicht mehr in den Führungspositionen haben zu wollen und die Mehrheit von ihnen wollte den Wohlstand. An die Veränderung der eigenen Biografie in diesem Zusammenhang und deren Folgen hatte man vermutlich dabei nicht gedacht. Wo etwas geht, kommt was Neues. Wir sind alle gefordert, nicht nur die Politik, sondern auch die Gesellschaft. Es war für alle das erste Mal. Es hat es in der Geschichte noch nie gegeben, dass ein Staat einem anderen Staat aus einem anderen politischen System beitritt. Es kommt darauf an, die Gemeinsamkeiten zu betonen, anstatt die Unterschiede zu suchen, die man glaubt wahrzunehmen, meinte ein Kieler Student und sprach aus, was ich so oft denke. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Folgen der Teilung zu bewältigen waren und nicht die Folgen der Wiedervereinigung. Ich bin glücklich und froh über all die Menschen, die seit dem Fall der Mauer in mein Leben spaziert sind. Denen ich nie begegnet wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre, weil wir uns hätten nicht begegnen dürfen.

Und gedenken wir die Tage alle denen, denen es nicht vergönnt war, ein unauffälliges Leben in der DDR zu leben, denen es nicht vergönnt war, das Recht der freien politischen Meinungsäußerung unbeschadet auszuüben, die zum Beispiel den Wechsel der Stadtgrenze von Berlin Friedrichshain nach Berlin Kreuzberg vor über 30 Jahren noch mit ihrem Leben bezahlen mussten.

Und heute, heute bewegen wir uns in unserem Land von Ost nach West, von Nord nach Süd…grenzenlos.

 

Claudia Lekondra